Windenergie – BVerwG stärkt Artenschutz im Genehmigungsverfahren
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BVerwG bestätigt: Auch außerhalb von Schutzgebieten können artenschutzrechtliche Prüfpflichten erforderlich sein. Wir zeigen, was Projektierende im Genehmigungsverfahren beachten müssen.
Mit Urteil vom 11.09.2025 (Az. 7 C 4/22) hat das Bundesverwaltungsgericht zur Genehmigung von Windenergieanlagen im Umfeld von Vogelschutzgebieten Stellung genommen. Die Entscheidung verdeutlicht, wann ergänzende Natura-2000-Verträglichkeitsprüfungen erforderlich sind – und welche Bedeutung das artenschutzrechtliche Tötungsverbot für Projektierende hat.
Wir zeigen auf, was Projektierende zur Gebietsverträglichkeit und zum artenschutzrechtlichen Tötungsverbot beachten müssen und warum frühe Naturschutzprüfungen unerlässlich sind.
Hintergrund: Windenergieanlagen im Vogelschutzgebiet
Eine Projektiererin plante die Errichtung von sechs Windenergieanlagen im Landkreis Göttingen, rund 1.300 m nordöstlich des Vogelschutzgebiets V 19 und westlich eines benachbarten Flora-Fauna-Habitats (FFH). Das Vogelschutzgebiet ist dabei besonders wichtig für den Erhalt des Rotmilans: Aufgrund seiner geringen Reproduktionsrate können schon Einzelverluste populationsrelevant sein. Nach Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für fünf der Anlagen erhob eine anerkannte Umweltvereinigung Klage gegen das Vorhaben.
OVG Lüneburg: Genehmigung rechtswidrig
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg erklärte die Genehmigung mit Urteil vom 10.09.2024 (Az. 12 KS 34/22)für rechtswidrig. Beanstandet wurde insbesondere das Fehlen einer Natura-2000-Verträglichkeitsprüfung (FFH-Verträglichkeitsprüfung) nach § 34 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) sowie die unzureichende Berücksichtigung des artenschutzrechtlichen Tötungsverbots nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG in Bezug auf den Rotmilan.
Zwar lagen die geplanten Anlagen außerhalb des Schutzgebiets, dennoch seien erhebliche Beeinträchtigungen des Vogelschutzgebiets nicht offensichtlich ausgeschlossen. Zudem müssten bei Genehmigungen nicht nur bestehende, sondern auch sehr wahrscheinliche zukünftige Ansiedlungen streng geschützter Arten berücksichtigt werden.
Artenschutzrechtliche Prüfpflichten nach § 45b BNatSchG
Das Oberverwaltungsgericht Münster klärte bereits in seinem Urteil vom 29.11.2022 (Az. 22 A 1184/18) das geregelte Vorgehen nach § 45b BNatSchG, um das Tötungsrisiko für streng geschützte Arten zu minimieren und das Tötungsverbot nach § 44 BNatSchG einzuhalten. Danach müssen Projektierende geeignete Maßnahmen treffen, um das Tötungsrisiko für streng geschützte Arten, wie den Rotmilan, unter die Signifikanzschwelle zu senken. Typische Schutzmaßnahmen sind etwa Abschaltregelungen während relevanter Vogelaktivitäten oder fachlich anerkannte Ausweichmaßnahmen.
Entscheidend ist, dass die vorgeschriebenen Bestimmungen das Kollisionsrisiko ausreichend mindern müssen, sodass erhebliche Beeinträchtigungen ausgeschlossen werden können. Das Oberverwaltungsgericht bestätigte auch, dass die Prüfung nach § 45b BNatSchG nicht nur bestehende Bestände berücksichtigt, sondern auch angemessene Maßnahmen vorsieht, um potenzielle Risiken für streng geschützte Arten zu begrenzen.
BVerwG: Ergänzendes Verfahren erforderlich
Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts und wies die Revision der Projektiererin zurück. Es stellte klar, dass eine über die Vorprüfung hinausgehende Prüfung der Gebietsverträglichkeit der Windenergieanlagen erforderlich ist, wenn ein Vorhaben außerhalb eines Vogelschutzgebiets nachteilige Auswirkungen auf dieses haben kann. Da die potentiellen Beeinträchtigungen zwar durch den außerhalb der Schutzgebiete liegenden Standort der Windenergieanlagen begrenzt, aber nicht ausgeschlossen seien, müsse die fehlende Natura‑2000‑Verträglichkeitsprüfung im Rahmen eines ergänzenden Verfahrens nachgeholt werden.
Die Prüfung des artenschutzrechtlichen Tötungsverbots sei hingegen ausreichend, da sie sich auf den aktuellen Bestand geschützter Arten zum Zeitpunkt der Genehmigungsentscheidung beschränke. Zukünftige Entwicklungen seien nur über nachträgliche Anordnungen oder einen (teilweisen) Widerruf der Genehmigung zu berücksichtigen.
BVerwG: Kein Wahlrecht nach § 6 WindBG
Das Bundesverwaltungsgericht stellte zudem klar, dass das Wahlrecht nach § 6 Windenergieflächenbedarfsgesetz (WindBG) nicht mehr anwendbar sei. Dieses erlaubt unter bestimmten Voraussetzungen, auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung zu verzichten und damit das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren deutlich zu beschleunigen.
Maßgeblich ist jedoch, dass das Wahlrecht nur bis zur Erteilung der Genehmigung besteht. Da die Genehmigung bereits 2022 erteilt wurde, kam eine nachträgliche Anwendung nicht in Betracht. Mögliche Erleichterungen im Zuge der EU-NotfallVO waren somit ausgeschlossen.
Fazit: Frühe Prüfung von Naturschutzrisiken geboten
Die Entscheidung verdeutlicht, dass bei Vorhaben in der Nähe von Natura-2000-Gebieten eine sorgfältige Prüfung der Gebietsverträglichkeit unerlässlich ist. Für Projektierende von Windenergieanlagen bedeutet die Entscheidung, dass Gebietsverträglichkeit und artenschutzrechtliche Risiken frühzeitig bewertet werden müssen. Schon potenzielle Einzelverluste geschützter Arten können die Durchführung ergänzender FFH-Verträglichkeitsprüfungen notwendig machen.
Zudem sind Genehmigungserleichterungen nach § 6 WindBG oder im Zuge der EU-Notfall-Verordnung nur bis zur Genehmigungserteilung möglich. Projektierende sollten daher frühzeitig Naturschutzaspekte in die Planung einbeziehen und mögliche Konflikte mit Schutzgebieten proaktiv adressieren, um Genehmigungsverzögerungen zu vermeiden.
