Tracking pixel Klage- und Rügebefugnis von Naturschutzverbänden · MASLATON Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

Klage- und Rügebefugnis von Naturschutzverbänden

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„Aktuelle Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs“

Anknüpfend an den Newsletter aus dem März 2012 „Erweiterung der Verbandsklagebefugnis auch auf nicht drittschützende Normen“ möchten wir Sie heute auf ein Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 14.05.2012 (Az.: 9 B 1977/11) zur Klage- und Rügebefugnis von Naturschutzverbänden hinweisen.

I. Sachverhalt

Das Land Hessen erteilte der Firma A-GmbH & Co. KG 2011 die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von vier WEA. Die geplanten Standorte liegen innerhalb des EU-Vogelschutzgebiets „V“, im Umfeld der vorgesehenen Standorte befinden sich außerdem zwei FFH-Gebiete. Gegen diese Genehmigung hat ein anerkannter Naturschutzverband Klage erhoben. Nach dessen Ansicht erweist sich die Genehmigung schon deshalb als rechtswidrig, weil die erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem UVPG nicht ordnungsgemäß durchge-
führt worden sei. Zudem gebe es in Bezug auf den Artenschutz – insbesondere hinsichtlich verschiedener Vogel- und Fledermausarten – erhebliche Bedenken. Überdies verstoße das Vorhaben nach Ansicht des anerkannten Naturschutzbundes gegen raumordnungsrechtliche Belange, denn alle geplanten Anlagenstandorte liegen außerhalb der im Regionalplan ausgewiesenen Vorrangflächen lägen für die Windenergienutzung.
Das nach Erlass der Genehmigung durchgeführte Zielabweichungsverfahren vom Regionalplan sei schon deshalb fehlerhaft, weil der Antragsteller als Träger öffentlicher Belange nicht beteiligt wurde.
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof gab dem Naturschutzverband recht. Nach Ansicht des Senats ist die Beschränkung der Rügebefugnis allein auf die Durchführung einer UVP oder einer Vorprüfung unabhängig von deren materiell-rechtlicher Qualität unzulässig. Im Hinblick auf die vom Antragsteller geltend gemachten Verstöße gegen das Raumordnungsrecht kann diesem die Antragsbefugnis jedenfalls insoweit nicht versagt werden, als er sich auf unionsrechtliches Umweltrecht und dessen Umsetzung durch die Raumordnungsplanung beruft, die im Genehmigungsverfahren beachtlich ist.

II. Konsequenzen für die Windbranche

Inhaltlich ist diese Entscheidung letzten Endes eine Reaktion auf die immer weitergehende Stärkung der Klage- und Rügebefugnisse von Naturschutzverbänden nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (12.05.2011, C-115/09). 
Gemäß § 4 Abs. 1 kann die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens verlangt werden, wenn die erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder die erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit nicht durchgeführt worden und nicht nachgeholt worden ist und eben gerade nicht aufgrund einer inhaltlichen Fehlerhaftigkeit (vgl. u.a. OVG Koblenz, Beschl. v. 22.2.2010, Az.: 1 A 11012/09.OVG; Schlacke, NuR 2007, 8; Ziekow, NVwZ 2007, 259; Kment, NVwZ 2007, 274). Nach Abs. 3 ist diese Vorschrift auch auf die Beteiligten nach § 61 VwGO anwendbar. Demnach kann die Aufhebung der Entscheidung von jeder natürlichen und juristischen Person verlangt werden. Die bisher als gefestigt angesehene Auffassung wurde durch den Beschluss des Hessischen VGH extrem aufgeweicht.
Ob die Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs soweit zu verstehen ist, dass anerkannte Naturschutzverbände vor Gericht eine komplette bauplanungsrechtliche Prüfung erreichen können, ist äußerst streitig.
Mit Blick auf die europarechtliche Rechtsprechung ist zwar nachvollziehbar, dass Naturschutzverbände – obwohl dies im Umweltrechtsbehelfsgesetz so nicht vorgesehen ist – auch die inhaltliche Richtigkeit einer UVP oder UVP-Vorprüfung rügen können bzw. gerichtlich überprüfen lassen können.
Fraglich erscheint jedoch, ob man den Naturschutzverbänden tatsächlich zugesteht, eine komplette bauplanungsrechtliche Prüfung durchzuführen, z.B. ob die Windenergieanlagenstandorte im Eignungsgebiet liegen oder nicht. Der Hessische VGH bejaht dies allein mit Verweis darauf, dass beispielsweise bei Regionalplänen immer Umweltbezüge bestehen, sodass hier der notwendige Bezug zu Umweltbelangen des Naturschutzverbandes ohne Weiteres hergestellt werden kann. Nimmt man diese Argumentation als Grundlage, so könnte grundsätzlich jeder anerkannte Naturschutzverband in der gesamten Bundesrepublik jede Genehmigungsentscheidung zu Gunsten von Windenergieanlagen unter jedem nur denkbaren Aspekt angreifen, weil nahezu alle Genehmigungsvoraussetzun-
gen den Umweltbezug in irgendeiner Weise aufweisen.
Welch enormes Risikopotenzial für den Ausbau der Windenergienutzung damit verbunden ist, braucht an dieser Stelle nicht gesondert erwähnt zu werden. 

Es bleibt zu hoffen, dass der Genehmigungsinhaber sich mit dieser Entscheidung nicht zufrieden gibt und das Verfahren auch in der Hauptsache weiterführt. Die Entscheidung des Hessischen VGH
beinhaltet durchaus Ansatzpunkte, wonach dieser seine Kompetenz deutlich überschritten hat und auch der Rechtsprechung des EuGH viel zu weit verstanden hat. Einstweilen muss sich die gesamte Branche aber mit der Entscheidung und dem damit verbundenen Risikopotenzial befassen.

Rückfragen & weitere Informationen: RA Prof.Dr. Martin Maslaton, RA Christian Falke
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